Ich liebe das Musikgeschäft und seine Vermarktungswege. Das Spiel mit dem Esel und der Rübe in Form von Samplers, Klatsch und Tratsch und exklusiven Bonitäten in der streng limitieren, ultra raren und obendrein handsignierten Limited Version nur für wahre Fans. Zum Glück geht es auch anders, wie der Fall von Stillers Tod zeigt. Seit 2006 relativ jung im Geschäft, verfügen die sechs Musiker um den selbst ernannten Band-Diktator Kargaist zwar über keinen Platten-Deal, keine perfekt gesteuerten Marketingkampagnen, haben sich aber trotzdem einen beachtlichen Ruf erspielt. Und das alles durch nur ein Album, ein avantgarder Blitz, der ohne Vorwarnung den Nachthimmel erhellte und so unscheinbar er gerade vor mir liegt, doch so viel Potential offenbart.
„Aus Wahnsinn wird Musik geboren“ - So pathetisch diese Zeile auf den ersten Blick anmuten mag, so treffend bezeichnet sie gleichzeitig das Erfolgsrezept hinter „Katharsis“. Wo sich bei manch anderer Combo der Begriff Avantgarde in der falschen Rechtschreibung seiner selbst erschöpft, verdienen sich Kargaist und seine Mannen diese Sporen mit harter Arbeit. Die Kompositionen weit entfernt von dem, was heutzutage gerne als avantgard angepriesen wird, ist es vor allem das durch jeden Song fließende Herzblut, was zum Beispiel das geniale „Lebensdurst“-Duo kennzeichnet und in erfrischend unvorhersehbare und facettenreiche Bahnen lenkt. Die Wurzeln zwar eindeutig schwarzmetallisch, werfen Stillers Tod jeden Ballast in Form von Konventionen ab. In der Folge trifft rasender Black Metal auf eine Melodie-Dichte, wie sie in dieser Szene ihresgleichen sucht; versinken akustische Zwischenspiele in trüber Melancholie bis Depression und erzählen klar gesungene bis typisch gekrächzte Vocals von Sehnsucht und Hilflosigkeit. Eine dichte und stimmige Samplerarbeit von sanften Frühlingsgeräuschen über die Kraft des Gewitters bis hin zu Zitaten von Max Frisch, sowie der gekonnte und atmosphärisch intensive Einsatz von Orchestrationen und Keyboardklängen runden dieses Erscheinungsbild in seiner gesamten Vielfalt ab. Dabei wird das geschulte Ohr zwar sicherlich die Maschine hinter den Drums erkennen – auf diesem nur theoretischen Manko herum zu reiten, erweist sich allerdings durch die professionelle Handhabung dieses Gerätes als mehr als überflüssig.
Auch wenn angesichts dieses Erstlings manch Schreiberling gerne mit Superlativen um sich werfen wird, möchte ich den Ball etwas flacher halten. So viel steht dennoch fest: „Katharsis“ ist ein intensiver, leidenschaftlicher avantgarder Bastard, wie er für die Zukunft verdammt Großes erwarten lässt. Bleibt der Band nur noch zu hoffen, dass die Großen des Geschäftes dies ähnlich sehen. Oder auch nicht...
Tracklist:
01. 16 Jahre Fegefeuer
02. Katharsis
03. Von Wiederkehr und Niedergang
04. Blutiger Schnee
05. Stiller
06. Seelenwanderung
07. Lebensdurst Part I: Lebensdurst
08. Lebensdurst Part II: Gestern lebte ich
09. In jeder gottverdammten Nacht
10. Demian